Queerfeindlichkeit: Waffenfähige Ignoranz und Vernichtungsversuche

Veröffentlicht in: Erosophie | 0

Queerfeindliche* Propaganda ist allgegenwärtig, mal subtil, mal offensichtlich, mal vereinzelt, mal institutionalisiert und in Gesetze gegossen. Sie stellt dabei immer den Versuch dar, queere Menschen und damit das Menschliche als solches zu beseitigen.

Wenn die Orbán-Oligarchie Ungarns das Informieren von Kindern und Jugendlichen unter Strafe stellt, sobald es um Sexualität und Gender in ihrer Gesamtheit geht; wenn US-amerikanische Bundesstaaten den Aufklärungsunterricht, der über Heterosexualität und Cis-Gender hinausgeht, nur mit Einverständnis der Eltern erlaubt oder wenn der Vatikan, unter fadenscheinigen Argumenten, gegen die Verschärfung italienischer Antidiskriminierungsgesetze protestiert, die insbesondere LGBTNIA*-Personen schützen sollen – dann haben wir es nicht nur mit gewissen politischen Ansichten zu tun. Dann geht es um die bewusste Politisierung von Ignoranz und ihren Einsatz als Waffe gegen Minderheiten.

(* Auch als “LGBTI” oder “LGBTIQ*” bekannt, meint Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle, Nicht binär bzw. (Gender-)Queere, Intersexuelle, Asexuelle in ihrem jeweiligen Spektrum, bei mir zusammengefasst als queere Personen; daher spreche ich auch von Queerfeindlichkeit und nicht etwa nur von Homophobie)

Ignoranz ohne Unschuld

Diskriminierung fügt Menschen Schaden zu. Man muss sich nur die Geschichten der Opfer so genannter Konversionstherapien anhören, in denen versucht wird, Menschen von ihrer Homosexualität zu „heilen“.

Das ist ein Paradebeispiel: Personen, die sich einer extrem-religiös begründeten Unwissenheit unterwerfen (sie hält vermutlich das Gewissen rein), die also nicht viel über Sexualität im Allgemeinen, noch weniger im Speziellen, wissen wollen und dürfen (außer vielleicht, woher Kinder kommen), wollen anderen erklären, dass ihre sexuelle Orientierung falsch, unnatürlich, sündhaft, böse, zu verdammen wäre und außerdem eine Krankheit.

Dabei machen sich diese frommen Pseudoheiler selbst zweier Todsünden schuldig: Hochmut (Superbia) und Ignoranz (Acedia). Vielleicht kann man auch Missgunst (Invidia) hinzufügen.

Das dürfte queerfeindliche Akteure allerdings nicht weiter stören, schließlich geht es hier nur vordergründig um religiöse Ideale. Es geht um Politik. Sie wollen eine gesellschaftliche Ordnung aufrecht erhalten, die mit dem – auch religiös begründeten – Patriarchat einhergeht. Jede Abweichung davon könnte das gesamte System zum Absturz bringen – ein System, das viele Menschen vor allem sozial und psychisch, aber auch ökonomisch von sich abhängig gemacht hat.

“Es geht queerfeindlichen Gruppen darum, queere Personen als widernatürlich darzustellen.”

Dem System in die Que(e)re kommend

Männer wie Viktor Orbán sind zudem politisch davon abhängig. Ihre faschistoiden Feindbild-Mythen bauen auf jene Narrative auf, mit denen ein großer Teil der Bevölkerungen in irgendeiner Weise sozialisiert wurde. Martialische heterosexuelle Männer verteidigen Vaterland, Religion (Kultur) und ihre Frauen und Kinder gegen alles, das ihre eigene gesellschaftliche Stellung, ihre Privilegien und damit auch ihren subjektiven Lebenszweck in Frage stellen könnte.

Queere Menschen stellen die Normalität dieses Systems allein durch ihre Existenz indirekt in Frage. Deshalb werden LGBTNIA-Personen beinahe weltweit verfolgt, kriminalisiert und ermordet. Wo dies nicht mehr bzw. (noch) nicht wieder möglich ist, versuchen queerfeindliche Akteure sie auf andere Weise loszuwerden. Indem sie ihre Existenz zu zensieren, verheimlichen, tabuisieren, beschämen und aus der Öffentlichkeit zu verbannen versuchen.

In Polen wurden „LGBT freie Zonen“ eingerichtet. In Ungarn setzt man die Aufklärung, über die reale Vielfalt menschlicher Sexualität und Geschlechter, mit Propaganda für sexuelle Gewalt an Kindern gleich.

In Europa und Amerika schieben vor allem Christen immer wieder den „Schutz der traditionellen Familie“ oder auch den Einsatz für die „Werte der Familie“ vor, um das selbe Ziel zu erreichen. Es geht darum, queere Personen als widernatürlich darzustellen, deren Andersartigkeit der willkürlich dehnbaren Begrifflichkeit von Tradition und Wert entgegen stünde.

Täter-Opfer-Umkehr

Der Vatikan betreibt in dieser Hinsicht aktuell eine Täter-Opfer-Umkehr. Seine Vertreter argumentieren, ein schärferes Antidiskriminierungsgesetz in Italien könnte Katholik_innen in rechtliche Schwierigkeiten bringen, wenn diese sich für die “traditionelle Familie” einsetzen. Mit dieser Argumentation handeln sie bereits in folgender Weise gegen diskriminierte Minderheiten:

  1. Sie setzen voraus, dass Diskriminierung kein eindeutig definierter Straftatbestand wäre, den man problemlos von „Traditionspflege“ oder Aufwertung persönlicher Images unterscheiden könne. Sie stellten dadurch die Legitimation von gesetzlichen Antidiskriminierungsmaßnahmen überhaupt in Frage.
  2. Sie implizieren, dass Familien, in denen es z.B. zwei Papas oder zwei Mamas gibt, minderwertig und nicht schützenswert wären, gegenüber „traditionellen“ Familien (was die Frage aufwirft, welchen Wert sie Alleinerziehenden beimessen).

Die selbe Behauptung wiederholen Teilnehmende des „Marsch für die Familie“, der seit 10 Jahren, „rein zufällig“, am selben Tag wie die Regenbogenparade in Wien stattfindet. Auf ihren Plakaten liest man: „Familie = Vater + Mutter + Kinder“.

Das ist keine harmlose Meinungsäußerung. Es setzt auch kein Zeichen für die unbefleckte, reine Cis-Hetero-Familie. Es ist ein Zeichen gegen queere Menschen. Und in dieser einseitigen Gegnerschaft setzt man auf Ignoranz als Waffe.

 

“Mit Hilfe dieser waffenfähigen Ignoranz, will man queere Menschen auslöschen”

Vernichtung

Auch queerfeindliche Menschen müssen einsehen, dass queere Menschen nicht nur heute eine Existenzberechtigung haben, sondern seit jeher existierten. Sie sind ein Teil der natürlichen und vielfältigen menschlichen Wirklichkeit.
Queerfeindliche Menschen entschließen sich jedoch, dies zu ignorieren. Sie stützen sich zugleich auf die queerfeindliche Vergangenheit: Weil sich queere Menschen früher verstecken mussten, argumentiert man, es hätte sie bis vor Kurzem gar nicht gegeben und wären eine reine Modeerscheinung unserer Zeit.
Vermutlich geht Queerfeindlichkeit auch deshalb meist mit Wissenschaftsfeindlichkeit, Antiintellektualismus und einem verzerrten Geschichtsverständnis einher. Mit dieser Abkehr von der Orientierung an der Wahrheit, erlaubt man sich, Unwahrheiten über queere Menschen zu verbreiten.

Lügen stellt immer den Versuch dar, Wahrheit zu vernichten. In diesem Fall – dem organisierten Lügen durch queerfeindliche Gruppen weltweit – geht es eben um die Vernichtung jener Bereiche der geteilten Realität, der queere Menschen beinhaltet. Man versucht uns auszulöschen – zunächst in der kollektiven Wahrnehmung der Gesellschaften, dann im Verständnis dessen was “normal”, “natürlich” oder “gesund” sei. Und welche Auslöschungsversuche danach folgen können, wissen wir. Sie finden aktuell in vielen Ländern des Patriarchats statt. Queere Menschen werden von Personen wie von Staaten ermordet, nur weil sie queer sind.

Perversion

Dabei gibt es Journalist_innen und Politiker_innen, unter diesen auch wohlwollende, die die Betroffenen auf Homosexuelle und “Transsexuelle” (!) reduzieren. Was eine Folge jener Auslöschungsversuche ist, die es immer schon gegeben hat. Vermeintliche Ausnahmeerscheinungen werden in ihrer Existenz ignoriert, als wären es keine lebenden, handelnden Personen.
Jede Diskriminierung, die Schwule, Lesben oder transgender Personen betrifft, betrifft letztlich auch alle anderen Gruppen des queeren Regenbogens. Denn die Feindseligkeiten haben immer den selben Ursprung und das selbe Ziel. Und dieses richtet sich gegen alle Abweichungen von einer “heiligen” Norm, egal ob man beispielsweise cisgender, schwul und demisexuell oder intergeschlechtlich und bisexuell ist.

Sie wurzeln in einer Ignoranz gegenüber einer authentischen Menschlichkeit, die über die eingeschränkten und instrumentalisierten Ideen jeweiliger Gesellschaften und politischer Ordnungen hinausgehen. Und diese Ignoranz wirkt, vor allem Extremismus, geradezu entmenschlichend.
Queerfeindliche Gruppen, wie die Regierung Orbáns oder die “Plattform Familie” machen dabei allerdings eine Ignoranz waffenfähig, die bereits reichlich in den Gesellschaften vorhanden war und eine lange tragische Geschichte hat, unter der nicht nur queere Menschen litten. Deshalb wollen sie Unwissenheit und blinde Flecken erhalten. Deshalb müssen wir ihnen mit Aufklärung entgegen treten.

Queere Menschen sind keine rätselhafte Randerscheinung. Wir sind keine exotischen Tiere, auf der Liste der gefährdeten Arten. Wir sind ein fixer Bestandteil der menschlichen Natur, der erst mit dem Rest der Menschheit untergehen wird.

Wir sind auch zahlenmäßig mehr, als die Unterdrückung all dessen, was auch im weiteren Sinne queer ist, erkennen lässt. Ich glaube sogar, dass nur die wenigsten Menschen wirklich dem Ideal des patriarchalen, androzentrischen, cis-sexistischen, heteronormativen, religiösen, konservativen Weltbildes entsprechen, das uns Queers zu Außenseitern macht. Vermutlich liegt die wahre Perversion in dem Versuch, die gesamte Menschheit diesem queerfeindlichen Weltbild zu unterwerfen.

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