Drag Queens: Rechtes Feindbild und demokratischer Schnelltest

Veröffentlicht in: Erosophie, Politik | 0

Als Repräsentant*innen queerer Kultur fallen Dragqueens besonders ins Auge. Gerade deshalb sind sie als rechtes Feindbild der letzte Kampf-Schrei im von Verschwörungsmythen durchsetzten Propaganda-Portfolio der Ewiggestrigen. Mit Blick auf die USA, wo dieser Hass-Trend bereits in Gesetze gegossen wird, offenbart sich erneut, wie weit faschistoide Bewegungen in die Machtzentren westlicher Demokratien vorgedrungen sind – und ein grundlegendes Problem: ihre Verharmlosung. Ein weiterer Test für die Demokratie …

Aufmarsch in Österreich

Am 16. April. 2023 wurden gleich mehrere Demos in Wien, rund um eine Kinderbuchlesung in der Türkis Rosa Lila Villa, angemeldet. Rechtsextreme und Extrem-Religiöse hatte ein Ärgernis: Gelesen wurde von der Drag-Queen, Freya van Kant. Dabei wurden alte Argumente in neuen Worten vorgeschoben. Auch wenn auf der rechten Seite niemand „Frühsexualisierung“ oder „Genderwahn“ wirklich definieren konnte (und kann). Nachgeschoben wurde die Ansicht, dass es sich bei queeren Menschen generell um Vertreter einer kranken Ideologie handle, die sich gegen die „gesunden“ und „normalen“ Menschen (global) verschworen hätten. Auf einem der Plakate wurden queere Menschen mit einem (pandemischen) Virus verglichen. Das ist nicht gerade subtil.

Freiheitlicher Alptraum

Angefacht wurden Ärger und Angst unter anderem von der Freiheitlichen Partei Österreich, die bei den Landtagswahlen der letzten drei Jahre stets auf Platz zwei landete. Mittlerweile sieht man sie in Umfragen bundesweit auch auf Platz 1.
Massiv verloren hatten die Blauen zuletzt 2020 (ganze 23,68 %), nach dem Ibiza-Skandal und zwar ausgerechnet bei der Wien-Wahl. Dort trafen die Rechts-Falsch-Abgebogenen dann auch auf eine Überzahl bunter, linker, queerer und antifaschistischer Gegendemonstrant*innen, die demonstrierten, wie viel stärker (und schöner) moderne Vielfalt sein kann gegenüber reaktionärer Gleichschaltung.

Wien ist halt anders. Besser gesagt: Der sechste Gemeindebezirk, in dem mit Markus Rumelhart (SPÖ) auch ein offen homosexueller Bezirksvorsteher waltet, ist anders. Auch in seinem näheren Umfeld (des Bezirks, aber vermutlich auch Rumelharts) kann ich mich trauen, mit einem cis Mann auf der Straße Händchen zu halten. In anderen Wiener Bezirken wäre ich schon nicht mehr so sicher. Was ein berechtigter Grund für Ärger und Angst wäre: Dass man sich als queere Person an den meisten Orten dieser Welt nicht offen zeigen kann, ohne von Gewalt bedroht zu sein. Dennoch organisieren wir keine Gegengewalt und schon gar keine Weltverschwörung.

Zwei Seiten, eine Meinung und Charleys Tante

Es sind Rechtsextreme, die auf die Idee und ausgerechnet in den schwulsten Bezirk Österreichs kommen, um uns ihre abstrusen Welt- und Wahnvorstellungen aufzudrücken, faschistoides Gedankengut inklusive. Menschen, die behaupten, sie dürften überhaupt nichts mehr sagen, rufen lautstark, öffentlich und ungeniert – weil sie entsprechend indoktriniert wurden – dass von einem Mann in Frauen-Kleidern eine unchristliche Indoktrination unserer Kinder ausgehe. Aber wer weiß? Vielleicht ist Peter Alexander als „Charleys Tante“ schuld an meiner eigenen Queerness… und an meinem Kirchenaustritt.

Ich frage mich auch, was los wäre, würde ich in irgendeine rechte Hochburg spazieren – sagen wir nach Stall, Altmelon oder Werfenweng – um dort die Messe zu stürmen, besser noch das Wirtshaus nach der Messe oder am allerbesten nachdem geheiratet wurde. Was, würde ich dort protestieren gegen konservativen Aberglauben, frauenfeindliche Gehirnwäsche und monogame wie heteronormative Zwangs-Ideologisierung? Es ist anzunehmen, in den Medien würde man daraufhin nicht nur von „zwei Seiten mit unterschiedlichen Weltanschauungen“ sprechen. Übrigens: Queerfeindlichkeit ist keine Meinung.

Der Frieden, den sie meinen

Die Tendenz professioneller und vermeintlich objektiver Medien, diesen Konflikt als bloße Meinungsverschiedenheit zwischen politischen Lagern darzustellen, passiert gelegentlich im medialen Alltagsbetrieb und ist grundproblematisch. Verharmlosend wirkt es auch, wenn der Salzburger Landeshauptmann Haslauer seine Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ mit der Ausrede beginnt, „die Menschen“ hätten genug vom Streiten. Zusammenarbeit sei die Hauptsache. Damit werden wieder einmal die Befürchtungen sämtlicher Personengruppen vom Tisch gewischt, gegen die die FPÖ stets Stimmung macht – im Namen eines Friedens, der dann für alle gilt, nur nicht für die betroffenen Minderheiten. Traditionell folgt man in Österreich gerne der „Logik“: Der Streit sei das Problem, nicht die Ursache für den Streit. Oder: Der Rechtsextremismus sei kein Problem, solange wir nicht darüber sprechen. Der Frieden, den Politiker*innen meinen, die mit extremen Rechtspopulisten koalieren, ist der Wunsch, in Frieden gelassen zu werden. Damit legitimieren sie jedoch jede faschistoide Hetze, die von solchen Parteien – und den mit ihnen assoziierten Gruppen – ausgehen.

Floridian Facism

Den Gouverneur Floridas als „Konservativen“ zu bezeichnen, ist ebenfalls eine Verharmlosung. Ron DeSantis verbietet Schulen, über sexuelle Orientierungen und Gender-Identität – oder alles was als „sexuell“ gedeutet werden könnte (z.B. Michelangelos David-Statue) – zu unterrichten. Er sorgt auch gleich dafür, dass Bücher über Rassismus aus den Bibliotheken vorsorglich entfernt werden. In einem älteren Text schreibe ich darüber, warum es sich bei solchen Unternehmungen, sämtliche Lebenszeichen queerer (oder schwarzer) Menschen aus der Öffentlichkeit zu verbannen, um existenzielle Vernichtungsversuche handelt. Der Antiakademismus und die Wissenschaftsfeindlichkeit der (neuen) Rechten, die damit einhergehen, sind dabei nicht die einzige Parallele zum Faschismus des letzten Jahrhunderts. Man kann diesen Vergleich gerne als „Nazi-Keule“ abtun. Ich wünschte, ich hätte eine!

Ein nichtssagendes System

Die neuen alten Rechten wissen, dass sie nur in einem Klima der irrationalen Angst und blinden Wut Erfolg haben können. Bei der künstlichen Aufregung um Drag-Queens, gendergerechte Sprache oder Rassismus-Kritik geht es für die Rechten um nichts – sie werden davon nicht bedroht, sie können dabei nichts verlieren und sie interessieren sich in Wirklichkeit auch nicht dafür. Gerade dieses Nichts-Sagende hat System. Denn sobald wir es mit realen Problemen zu tun haben, die wir an- und begreifen können, legt sich auch irgendwann unsere Aufregung und wir kommen ins Handeln. Rechte Demagogen brauchen hingegen Anhänger, die dem beständigen Gefühl unterliegen, handlungsunfähig und einem Kontrollverlust ausgesetzt zu sein. Das größte Problem eines Beruf-Aufwieglers ist das gelöste Problem. Er lebt von der eigenen Nichtigkeit.

Menschen, die sich von Rechten manipulieren lassen, sind aber nicht einfach nur deren Opfer. Es gibt immer einen Moment, in dem man sich entscheiden kann, was man glauben möchte. Jedoch müssen manche gekränkten Egos andere Menschen abwerten, um sich selbst zu erhöhen. Wer für sich keinen Sinn im Leben erkennt, will manchmal den Lebenssinn anderer Menschen verneinen. Und wer ein unsicheres Weltbild hat, muss alle beseitigen, durch deren bloße Existenz es infrage gestellt werden könnte.

Einseitiger Angriff

Es handelt sich bei den beiden Gruppen, die sich am 16. April in Wien – stellvertretend für den gesamten Konflikt – gegenüberstanden, nicht bloß um zwei politische Gruppierungen mit jeweils gleich-berechtigten Meinungen. Dies ist kein symmetrischer Konflikt. Es ist ein einseitiger Angriff – von Rechtsexremen und religiösen Fanatikern auf  queeres Leben im Allgemeinen. Wegen dieser Hetze verloren erst im letzten Jahr zwei Menschen in Bratislava, bei einem queerfeindlichen Anschlag, ihr Leben (das ist ca. 1 Stunde Zugfahrt von Wien entfernt).

Queersein ist Arbeit

Auf der einen Seite stehen Menschen der LGBTQIA-Community, die seit jeher, auch seit Beginn ihrer persönlichen Geschichte dafür kämpfen, einfach nur als sie selbst leben zu können. Dafür setzen sie auf Aufklärung, um auch Kindern zu ermöglichen, sich ein eigenes Bild darüber zu machen, was Menschsein alles bedeutet. Queere Kultur ist darauf ausgerichtet, Mut zur Selbstfindung zu machen. Es geht um Freiheit – zu wissen, dass man die Wahl hat, in Beziehungen zu leben, Sex zu haben, Outfits zu tragen, einfach zu leben wie und mit wem man will. Aber queere Menschen müssen nach wie vor um diese Selbstverständlichkeit kämpfen. Widerstand kommt aus der unüberschaubaren Masse der Gesellschaft, vielfach auch aus den eigenen Familien. In vielen Staaten werden queere Menschen mit Freiheitstrafen, in manchen mit Hinrichtung bedroht, weil ihre bloße Existenz als Verbrechen betrachtet wird.

Rechtssein ist Luxus

Auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung marschieren Menschen in der Öffentlichkeit auf, die diese Probleme nicht kennen. Das Schlimmste, das ihnen als Gruppe widerfuhr, war eine kostenlose Covid-19-Impfung, auf die sie verzichteten. Weiterhin setzen sie auf Anti-Aufklärung, um andere zu Feindbildern zu machen; andere, von denen sie nichts wissen und auch nichts wissen wollen. Wer weiß, wie viel sie über sich selbst wissen (wollen)? In der Sexualisierung von Drag-Queens und dem abstrusen Verständnis von „Kinderschutz“, lässt sich erahnen: die Rechten projizieren hier ihre eigene Scham, die eigene (gestörte) Beziehung zu Sexualität und Genderrollen. Und wer weiß, wie vielen von ihnen es bewusst ist, wenn sie die Propaganda der alten Faschisten reproduzieren (einigen von ihnen gewiss)?

Demokratischer Überlebenskampf

Wofür gehen diese Rechten also auf die Straße? Gegen andere Menschengruppen, die sie als wehrlos erachten und für die eigenen Vorurteile. Während wir – als queere Personen, es betrifft aber auch andere Minderheiten – quasi ständig um unser Leben kämpfen müssen, um unsere Existenzberechtigung.

Die Rechten sprechen ihre Wünsche mittlerweile auch ganz offen aus. Sie richten sie zwar hier an und gegen Drag Queens bzw. Transgender-Personen (die sie in der Regel gleichsetzen) und andere queere Menschen. Aber gemeint sind alle, die in einem pluralistischen, demokratischen und liberalen Land leben möchten. Die Feindseligkeiten gegenüber Minderheiten sind ein Schnelltest auf die Gefahren, die der gesamten Gesellschaft drohen. Dragqueens stellen dabei offenbar den schillerndsten Köder dar, der die letzten Keller-Nazis ins Licht der Öffentlichkeit lockt. Wenn man schon den Wald (Rechtsextremismus) vor lauter Bäumen (Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Misogynie) nicht erkennen will: Die rechte Forderung, Dragqueens in der Öffentlichkeit zu verbieten, sollte auch jenen die Augen öffnen, die normalerweise lieber nicht so genau hinsehen. Eine Demokratie kann nicht überleben, ohne Vielfalt an menschlichen Lebensmöglichkeiten.

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