Die Erotik des Gesprächs – beinahe eine Einleitung

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Unter anderem am Beispiel einer feministischen Debatte: Moderne Kommunikationskultur spiegelt eine ‘antike’ Beziehung zu Sprache wider. Redekunst wird auch heute noch als Waffe eingesetzt, wo sie nicht der zwischenmenschlichen Verbindung und Bereicherung dient.

Eros & Philosophie sind nicht nur namensgebend. Sie bilden gemeinsam den Bezugspunkt und Rahmen dieser Arbeit, eine Verbindung die auch auf Platons Symposium zurückgeht. Aber keine Sorge, ich will hier keine altertümlichen Ansichten von Moral, Sexualität und Liebe wiederkäuen. Erosophie soll konstruktives Philosophieren sein – wie jede zwischenmenschliche Beziehung oder wie guter Sex oder das Leben überhaupt: ein lebendiger Prozess mit offenen Enden, endloser Offenheit und unerwarteten Neuanfängen.

Dieser Prozess nimmt seinen Anfang hier & heute, in einer vernetzten Welt voll von menschgemachten Problemen und Möglichkeiten, voll digitalisierter Information und mindestens ebenso viel Desinformation. Er findet statt in einer Gesellschaft, in der „Erotik“ hinter verschweißtem Plastik im Sex-Toy-Automaten einer verdreckten Toilette auf Kundschaft wartet oder rund um die Uhr auf Pornoseiten schauspielert, wenn sie nicht gerade als Kategorie für billige Unterhaltungsliteratur herhalten muss.

PHILOSOPHIE ZWISCHEN T-SHIRT-SHOP UND “ELFENBEINTURM”

Währenddessen scheint die Philosophie für viele das zu sein, was hauptsächlich alte (meist tote) weiße Männer beruflich mach(t)en, wenn sie Sätze formulieren, die auch gut auf einen poetischen Kaffeebecher passen. Die Erklärung ihrer grundlegenden Werke schafft es auch nur selten in die Talkshows. Selbst wenn dort gelegentlich cis-männliche Star-Philosophen sitzen. Zudem stoßen wir in philosophische Werken meist auf eine nur schwer verständliche Sprache oder stoßen uns an ihr – vielleicht zu Recht.

Was schwer zu begreifen ist, ist auch schwer angreifbar. Möglicherweise liegt hinter verkomplizierter Sprachlichkeit also auch eine gewisse Absicht. In meiner Marketing-Ausbildung lernte ich bezüglich bildender Kunst: Die mit Fremdwörtern angereicherten Schachtelsätze sind oft kunstvoller gestaltet als das Werk, das sie „erklären“ sollen.

Mit ihrer Sprache grenzt sich die akademische Welt auch von den außenstehenden Menschen und deren Alltag ab. Dadurch droht ihr Bedeutungsverlust. Leider. In unserer modernen “Wohlstands-Gesellschaft” hätten viele von uns Zeit und Notwendigkeit für Philosophie – gerade auch während einer globalen Pandemie. Und manchmal philosophieren wir auch, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Andererseits scheint es im multimedialen Netzwerk, das von den Prinzipien der Unterhaltungsindustrie durchdrungen ist, weniger darauf anzukommen, was jemand sagt als vielmehr wer was auch immer sagt. Meinungen – wie z.B. die Verleugnung der vom Menschen verursachten Klimakatastrophe oder mittlerweile auch das Sars-CoV-2-Virus – werden oft von der eigenen Gruppenzugehörigkeit abgeleitet. Bei Wahlen überzeugen meist die Kandidat*innen mit dem „besten Auftreten“. Kurz: Es geht mehr um den Schein als um das Sein. Das ist zwar nicht neu, wird aber besonders sichtbar in unseren kontemporären Kommunikationsmedien.

GEBURTSHILFE STATT INTOXIKATION

Und das erinnert mich dann doch wieder an den alten Platon und dessen Lehrer, Sokrates. Ich weiß nicht, wer von den beiden die größere Abneigung gegenüber den Sophisten ihrer Zeit empfand. Bekannt ist aber, dass es im fünften Jahrhundert vor Christus bereits Redekünstler als berufsmäßige „Meinungsmacher“ gab, die Sprache unter anderem als „Gift“ betrachteten (das, je nach Anwendung, heilen oder töten könne). Was dem Begriff der toxischen Maskulinität eine weitere Dimension verleiht.

Vielfach wirkte sophistische Redekunst daher als (käufliche) politische Waffe, mit der man andere zu überreden, manipulieren, kontrollieren, aufhetzen oder verletzen versuchte. Das kennen wir heute noch: Sowohl berufspolitische Populist*innen und Demagog*innen als auch „Trolle“ auf den Meinungs-Plattformen im Internet, verstehen und gebrauchen Sprache, trotz unterschiedlicher Befähigung, auf diese Weise.

Sokrates hielt dem die angeblich erste dokumentierte philosophische Methode der Geschichte entgegen: Die Mäeutik, eine geistige „Hebammenkunst“. Statt Monolog strebte er Dialog an. Anstelle von Belehrungen wollte er seinem Gegenüber durch Befragung zur eigenen Erkenntnis verhelfen. Wesentlich war ihm dabei, zunächst das eigene Wissen in Frage zu stellen. Womit Platons Bücher über das sokratische Philosophieren vor allem eine Gesprächskultur wiedergeben, in der es vor allem darum geht, voneinander, miteinander und aneinander zu lernen, gemeinsam Wissen zu überprüfen und – wo möglich – Wahrheiten festzustellen.

Dem muss natürlich vorausgehen, dass sich die Gesprächsteilnehmer*innen zunächst auf die Begriffe einigen, über die gesprochen werden soll, damit alle das Selbe unter dem Gesagten verstehen. Was wiederum voraussetzt, persönliche Vorurteile zurückstellen und zumindest zu erwägen, dass das eigene Wissen begrenzt oder unwahr sein könnte.

Vereinfacht gesagt: Es gilt, zu Beginn den Geist zu öffnen – für die eigenen Irrtümer genauso wie für die Meinungen anderer.

ONLINE GESPRÄCHSKULTUR IN DER REAL-WORLD

Das ist oft gar nicht so leicht. Vor gefühlten hundert Jahren besuchte ich eine Diskussionsrunde in der Hauptbibliothek Wien, über das Buch „Warum Feminismus für Männer wichtig ist“ von Jens van Tricht, an der sich, neben dem Autor auch Lea Susemichel (leitende Redakteurin der an.schläge) und Amar Rajkovic (stv. Chefredakteur von Das Biber) beteiligten.

Auch hier wurde schnell deutlich, wie weit die Vorstellungen von Begriffen wie Feminismus unter den Zuhörer*inne auseinander gehen können. Ich fühlte mich aber auch aus anderen Gründen an die Kommunikationskultur im Internet erinnert. Wie üblich wurde das Publikum eingeladen, Fragen an das Podium zu stellen und wie ebenfalls üblich wurden diese überwiegend in Form von Aussagen oder Meinungen und die wiederum in Form von rhetorischen Fragen „gestellt“. Mensch kann zwar ebenso von ungefragten Behauptungen etwas lernen, aber dieser Weg beginnt als Einbahn und endet für alle freiwillig wie unfreiwillig Beteiligten meist in einer kommunikativen Sackgasse.

Folgende Beispiele Weisen gewisse Parallelen zur Kommunikation auf Social Media auf:

Werbe-Pop-Up: Ein Fragesteller wollte nur alle einmal wissen lassen, wer er sei und welche tolle Sache er gemacht habe, die irgendwie mit dem Thema zu tun haben könnte. Wir mussten uns daraufhin nur überlegen, was die künstlerische Behandlung von Yonis (1) mit Feminismus für Männer zu tun habe.

Whataboutism (Aber-Was-Ist-Mit-Argumentation): Eine ans Mikrofon geklammerte Belehrung klang nicht in allen Dingen abwegig. Die Frau meinte jedoch, mit ihrem Monolog den Nutzen von Feminismus überhaupt und damit im Grunde die gesamten Veranstaltung für überflüssig erklären zu können. Sie behauptete fragend, dass man über ‘Feminismus’ nicht sprechen müsse, wenn der ‘Humanismus’ doch völlig genüge. So wie in den letzten wundervollen Jahrhunderten? 

Spam(-Flut): Eine andere Person stellte gleich mehrere rhetorische Fragen, das heißt, auch sie wollte eigentlich nichts wissen, sondern bemängeln, was ihr an diesem Abend geboten wurde. Ich weiß nicht, ob sie jemals ihre rhetorischen Antworten bekam. Vermutlich schrieb niemand mit. Auf rhetorische Fragen wie “Warum ist alles Mist hier?”, lässt sich spontan nur sehr schwer antworten.

SOKRATISCHES MOMENT

Ich fand das alles teilweise verständlich. Auch ich fragte mich zunächst, warum mit Amar Rajkovic ein Mann auf der kleinen Bühne saß, der von Anfang an erklärte, dass er von Feminismus keine Ahnung habe. Ob eine Frau, ohne Fachwissen, zu einer solchen Runde eingeladen worden wäre? Vielleicht wirkte seine selbstbewusste Offenheit überheblich und dadurch provokant?

Andererseits hätte ihn das Publikum ohne diesen „offenen Geist“ vermutlich für einen überzeugten Feministen gehalten. Denn was er  in seinen Erzählungen berichtete, zeigte, dass er durchaus im Sinne des Feminismus handelt, auch wenn er sich nicht anmaßen wollte, die Bezeichnung Feminist für sich zu verwenden (eine Scheu, die auch unter cis Frauen weit verbreitet ist).

Offenbar waren ihm die Grenzen seiner eigenen Kenntnis bewusst und er wollte diese offenlegen. Dadurch entstand sozusagen ein sokratisches Moment: Während van Tricht und Susemichel uns mit Fachwissen aus verschiedenen Bereichen feministischer Arbeit versorgten, lieferte Rajkovic dazu einen sehr persönlichen Bezugspunkt, der ohne seine Ehrlichkeit verloren gegangen wäre und ohne den wir kein lebendiges Beispiel dafür erhalten hätten, wie wichtig Feminismus eben auch für Männer ist – selbst wenn diese keine Ahnung von dessen theoretischen Grundlagen haben. Und das war schließlich das Thema des Abends.

Das war auch der Grund, warum ich mich völlig unrhetorisch fragte: Warum Menschen, die glauben, dass Männer keine Feministen sein könnten oder solche, die den Feminismus begrifflich ablehnen, eine Veranstaltung besuchen, in der es um Feminismus für Männer geht? Ist das nicht vergleichbar mit diversen Drunterkommentaren in sozialen Medien?

Bedeutet das nicht eine Vergeudung von Zeit und Energie: Dagegen zu sein, dagegen zu bleiben, aber nichts dagegen tun zu können (gegen die Veranstaltung bzw. den Meinungsaustausch der anderen)? Und hätte sie sich nicht auf seinen Mangel fokussiert, wäre jener Frau, die unter anderem meinte, Männer könnten lediglich Unterstützer von Feministinnen, aber keinesfalls Feministen sein, vielleicht aufgefallen, dass Amar Rajkovic ihren Wünschen bereits entspricht. (2)

DER MEHRWERT DER EHRLICHKEIT

Diese Konzentration auf die Schwächen und Mängel anderer finden wir auch online im Übermaß vor. Dabei scheint deren bloße Sichtbarkeit für viele bereits wie ein Affront gegen die eigenen Person zu erscheinen; so wie Rajkovics zugegebene Unwissenheit, auch noch gegen Ende der Veranstaltung, als ein Unrecht wahrgenommen wurde.

Wir können jedoch, glaube ich, verneinen, dass es besser gewesen wäre, von dieser provozierenden Unwissenheit nichts zu erfahren. Dreistigkeit dürfte weniger ungerecht sein als Verlogenheit. Was nützt es also, sich über die ganze Diskussion hinweg auf diesen einen wunden Punkt zu konzentrieren? Lenkt es nicht von dem ab, was mensch von den übrigen Punkten lernen könnte?

Und was nützt es, eigene Aussagen in eine Diskussionsrunde zu werfen, für deren Beantwortung nicht wirklich genug Zeit (oder Raum) ist. Ist es nicht schade, wenn das eigene Ego daraufhin allein im Raum stehen bleiben muss, ohne von anderen angenommen werden zu können? Wäre es in diesem Fall nicht besser, es für sich zu behalten und stattdessen eine zu beantwortende Frage zu stellen, deren Antwort der Mensch wie auch das Ego daraufhin mit nachhause nehmen könnten?

In der Ehrlichkeit – oder auch in der Selbst-Entblösung eines Menschen, der sich fragt, ob das „Image vom starken Mann“ noch irgendeine Zukunft habe – und im damit verbundenen Mut zur Wahrheit (und dem Risiko, ausgelacht zu werden) steckt immer ein Mehrwert, den der schöne Schein nicht bieten kann. Die guten Antworten folgen auf Fragen, die gute Antworten notwendig machen.

DIE EROTIK DES GESPRÄCHS

Die Erotik des Gesprächs entsteht erst dann, wenn wir es führen wie eine gute Beziehung oder durchführen wie guten Sex. Eitelkeit, Arroganz, Selbstsucht sind kein sicherer Ausgangspunkt für jedwedes Miteinander. Dazu zählt der Drang, sich selbst, die eigene Meinung (oder das eigene Produkt) zuallererst und unverrückbar in den Mittelpunkt zu stellen, als Festung des eigenen Stolzes, den mensch präventiv verteidigt, in der Angst vor dem eigenen Irrtum überall Feindseligkeiten witternd – was letztlich bedeutet, andere dominieren zu wollen.

Das tragen von rhetorischen Masken schafft kein Vertrauen, sondern Illusionen. Dieses Tarnen und Täuschen im eigenen Sprechen lässt keine Wahrhaftigkeit zu, wenn beispielsweise eine gewisse Vagheit nur dazu dient, eigene Aussagen je nach Bedarf nachträglich umdeuten zu können, um ja nicht begreifbar bzw. angreifbar zu sein. Sie gestehen weder dem Gegenüber Authentizität zu noch erlauben sie es dem Selbst, wahrhaftig und gegenwärtig zu kommunizieren.

„Sind soziale Medien ein retraumatischer Ort?“

Viel zu oft fehlen uns Zeit und Raum oder auch der Mut für echte Dialoge, auch wenn „soziale Medien“ den Eindruck erwecken wollen, „offener“ Meinungsaustausch fände andauernd statt. Die Kommunikationsnetzwerke im Internet sind ein Ort ohne Erbarmen oder Verzeihen, an dem anscheinendvielfach nur in 0 und 1 gedacht und empfunden werden kann, mit absoluter Zustimmung oder völliger Ablehnung. Dort wirdauch alles absolut persönlich genommen, zugleich übernimmt kaum jemand persönliche Verantwortung für das eigene Handeln, die eigenen Aussagen.

Der Fokus liegthauptsächlich auf den Fehlern der Anderen, auf dem Negativen, auf Skandalisierung und Katastrophisierung – eine Verfasstheit, die mich persönlich an den Zustand der Regression erinnert, den ich selbst erlebe, wenn eines meiner Traumata getriggert wird.

Sind „soziale Medien“ vielleicht ein retraumatisierender Ort oder ein Ort voller Traumata, in dem diese vielfach hervorgelockt werden, miteinander interagieren, bestätigt und bestraft werden?

Was dort anscheinend hauptsächlich stattfindet und die „Offline-Welt“ (die selten wirklich offline ist) in gewisser Weise widerspiegelt, ist das Warten auf Zustimmung und der Kampf gegen jede Form von Ablehnung, in einer ständigen Sehnsucht nach Anerkennung und einer gewaltigen Angst, diese zu verlieren. Eine solcher angst-gesteuerter Leistungsdruck ist auch eine Ursache für schlechte Beziehungen oder schlechten Sex. Eros berührt oder verlässt alle zwischenmenschlichen Bereiche, wie es scheint, aus ähnlichen Gründen.

LET‘S TALK ABOUT SEX

Sex ist auch deshalb eines meiner Lieblingsthemen, weil er deutliche Beispiele für zwischenmenschliche Dynamiken liefern kann. Dort, wo die Hüllen fallen, fallen auch die sozialen Masken in einem gewissen Maß.

Dabei ist ein Problem besonders auffällig und zum Thema passend: Es gibt Paare (auch solche in längeren Beziehungen), die offenbar nicht über den gemeinsamen Sex sprechen – selbst oder gerade dann, wenn sie ihn gerade haben. Oft wird dies mit Schamgefühlen erklärt, mit der Angst, sich Blöße zu geben, etwas zu offenbaren, das eine*n in den Augen der Anderen schlecht dastehen bzw. schwach erscheinen ließe, wodurch er*sie Anerkennung und Zuneigung verlöre. Das ist in Anbetracht der Umstände, in denen die meisten von uns aufwuchsen und leben, verständlich. Ich habe ganz persönliche Erfahrungen damit gemacht.

Hierbei scheint die Angst vor der Wahrheit stärker zu sein als das Leiden unter ihrer Abwesenheit; stärker als das Leiden unter schlechtem Sex oder schlechten Partnerschaften, die Menschen sogar über Jahrzehnte in Kauf nehmen können. Das kann natürlich unterschiedliche Gründe haben. Oft sind es äußere Zwänge, vor allem für Frauen oft ökonomische Zwänge, Gruppenzwänge, Erpressung oder konkrete Gewaltandrohungen.

Unter anderen Umständen könnte es aber auch daran liegen, dass unsere Gesellschaft den Wert ehrlicher und offener Kommunikation unterschätzt. Die heilsame Wirkung von gutem Sex und positiver Sexualität, scheint meist keine besondere Beachtung zu genießen (und ich weiß nicht, ob „Sex-Positive-Parties“ daran etwas ändern können). Beziehungsprobleme werden ebenso normalisiert wie Gewalt in Beziehung und Sexualität immer noch verharmlost wird.

Was eine „gesunde“ Partnerschaft ist, bekamen und bekommen vermutlich nur wenige von uns vorgelebt. Viele von uns dürften die toxische Sprachlosigkeit der Eltern und frühen Bezugspersonen in unsere eigenen Beziehungen als Erwachsene hinein tragen. Woran sich nichts ändern wird, wenn wir nicht darüber sprechen können.

Auch werden Sex & Sexualität nicht als wirklich positiv oder heilig gelten, solange Begriffe wie „Ficken“ sowohl für Sex als auch für Gewalt und Zerstörung stehen. Im kommunikativen Vakuum kann mensch nur schlecht über jene Worte reflektieren, die unser alltägliches Denken bestimmen. Und geht es auch nicht so sehr darum, wie mensch etwas sagt, ist es dennoch wichtig zu überlegen, was mensch mit seinen Worten eigentlich meint und dies auch die anderen wissen zu lassen.

FREIHEIT IN WAHRHEIT

Es ist erschreckend, wie sich, bei allem was sich ständig verändert, in manchen Bereichen kaum etwas ändert. Menschen, die in ihrer Jugend noch alles anders machen wollten, wiederholen die Beziehungsmuster ihrer Eltern. Und auch hochbegabte Akademikerinnen sitzen mit den Kindern allein zuhause, während sich ihre Männer in der Erwerbsarbeit verstecken, weil sie bei aller Fortschrittlichkeit und Brillianz nie gelernt haben, alltägliche Intimität zu leben.

Es gibt keinen selbstverständlichen Fortschritt. Und es genügt nicht, einfach nur dagegen zu sein, um negative Prägungen durch Bezugspersonen, Entwicklungstraumata oder das Patriarchat in uns zu überwinden.

Wir brauchen Hilfe von Anderen, von erfahrenen Menschen, Heiler*innen, Therapeut*innen, Expert*innen. Dafür brauchen wir unser Eingeständnis, dass wir Hilfe brauchen, den „offene Geist“ uns selbst gegenüber, der es uns auch erlaubt, uns verletzbar zu zeigen. Wir brauchen einen inneren Dialog, in dem sich die selben sokratischen/platonischen Regeln anwenden lassen wie in anderen Dialogen und Diskursen.

Das bedeutet auch, dass wir uns selbst liebevoll behandeln sollten, wie ein (inneres) Kind, dass wir mit Geduld und Verständnis zu neuen Erkenntnissen und schwierigen Wahrheiten führen, ohne es wegen vergangenen Irrtümern zu bestrafen. Das ist auch eine gute Grundlage für den Umgang mit anderen.

Darin zeigt sich auch die Bedeutung von Eros: Die Suche nach den richtigen Worten, nach dem guten Gespräch, der Wunsch und das Bemühen, mit anderen wie mit sich selbst eine schöne, im weiteren Sinne fruchtbare Beziehung einzugehen. Das ist die aktive Erfüllung einer zutiefst menschlichen Sehnsucht. Es ist auch eine lustvolle Aktivität, erotisch, da sie als Mittlerin zwischen Menschen, Körpern und Ideen fungieren kann.

Wir müssen den Mut finden, Vertrauen zu finden, um Wahrheit zu finden. „Und die Wahrheit wird euch frei machen“, heißt es im Johannesevangelium, einem Philosophen zufolge, der sich ebenfalls nicht wenig mit dem Thema Liebe befasste.

Obwohl die „platonische Liebe“ im allgemeinen Sprachgebrauch als etwas anderes interpretiert wird, als sie ursprünglich meinte, will ich den Kreis damit schließen: In allen Bereichen des menschlichen Miteinanders, unserer Kulturen und Gesellschaften, unserer Politik, unseren Beziehungen, wirken ähnliche Prinzipien.

Eros, als Mittler zwischen dem Menschlichen und Göttlichen, galt Platon als Freund der Philosophie. Eros und mit ihm das Erotische, stellt sowohl Wegweiser als auch Weg dar, der auf einer Lust zum Guten und Schönen beruht, auf einem Streben nach Wissen, Weisheit und Wahrheit, dem Wunsch nach einem liebevollen Miteinander, in dem wir das Gute und Schöne finden und teilen können und das mit Liebe zu uns selbst einhergeht. In diesem Sinne ist erotische Lust auch Lebenslust.

 

1 Als Tantriker verwende ich das Wort Yoni für die Gesamtheit der weiblichen und Lingam für jene der männlichen Geschlechtsorgane. Ich halte sie für wertschätzender als die westlichen, biologischen/medizinischen Begriffe.

2Ich bin Feminist und verstehe Erosophie.com als feministisches Medium. Die Möglichkeit, Feminist*in zu sein, hängt weder vom biologischen Geschlecht noch von der Zugehörigkeit zur Gender-Gruppe „Cis-Frau“ ab. Ansonsten wäre es Frauen unmöglich Antifeministinnen zu sein. Es wäre sonst auch undenkbar, dass weiße Menschen Antirassist*innen sein könnten. Und eine Zugehörigkeit zur LGBTQIA-Community würde keinen Sinn machen, weil niemand allen Aspekten ihrer einzelnen Buchstaben entsprechen kann, wenn es Voraussetzung wäre, alles selbst verkörpern zu müssen, das man liebt, verteidigt und unterstützt. Darüber hinaus sollten manche Hetero-Cis-Frauen verstehen, dass Feminismus für viele queere Menschen, wenn nicht sogar eine Frage des Überlebens, jedenfalls lebenswichtig ist. Bei genauerer Betrachtung könnte dies auch für Hetero-Cis-Männer gelten. Auch auf sie kann sich das Patriarchat traumatisierend, jedenfalls toxisch auswirken. Es geht beim Feminismus um nicht weniger als um eine Veränderung der gesamten Gesellschaft, der wir alle angehören und die von uns allen gemacht wird.

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